Date Published: 04/17/2020
Es gibt aktuell reichlich Gründe, pessimistisch in die nähere Zukunft zu blicken. Stündlich liefert der Nachrichtenticker neue Hiobsbotschaften.
Ich habe für mich persönlich akzeptiert, dass wir uns momentan sprichwörtlich in einem Erdbeben befinden. Basierend auf dieser Annahme macht es recht wenig Sinn, ständig schockiert über neue Risse in der Wand zu sein.
Schockstarre bringt uns nicht weiter, es ist vielmehr die Zeit gekommen, endlich Dinge zu hinterfragen, Bestehendes neu zu denken und Ideen wachsen zu lassen.
Aus diesem Grund teile ich meine Top 3 der digitalen Stellschrauben für Unternehmen in der nahen Zukunft:
Ein guter Anfang wäre schon einmal, den Menschen, die die Digitalisierung steuern und anschieben, mehr Einfluss auf das Geschehen zu geben.
Vielerorts hat man die IT-Budgets in den vergangenen Jahren signifikant erhöht. Das macht allerdings nur bedingt Sinn, wenn man die digitalen Entscheider nicht mit an den Tisch nimmt, um strategische Entscheidungen zu treffen.
Zu viele Unternehmen nennen ihren IT-Chef zwar „CIO“, setzen ihn aber alltäglich als „Leiter IT“ ein.
Klingt nach Haarspalterei, der Unterschied ist jedoch eklatant und kostet Deutschland als künftige Digitalnation täglich Zeit.
Das eine meint den Manager eines Cost Centers, welcher sich im Wesentlichen um den Betrieb kümmert und der, wenn irgend möglich, bloß nicht als Bedenkenträger bei Entscheidungen auftreten soll. Schon gar nicht bei Entscheidungen, die vermeintlich nichts mit IT oder Technik zu tun haben.
Das andere meint einen Top Manager, der mit seinem Team stets eingebunden in strategische Entscheidungen ist und signifikant zu Themen wie der künftigen Wettbewerbsfähigkeit, dem Umsatzwachstum oder der Außendarstellung des Unternehmens beiträgt.
Solange viele CIOs in Deutschland frustriert aus Vorstellungsgesprächen kommen, weil sie merken, dass der potentielle neue Arbeitgeber zwar einen CIO ausgeschrieben hat, allerdings lediglich einen „Leiter IT“ oder noch besser einen „Leiter EDV“ sucht, verschenken wir in Deutschland vorhandenes Potential.
Am Ende machen doch immer Menschen den Unterschied aus. Unsere CIOs können noch mehr, also sollten wir sie auch auf’s Spielfeld lassen.
Wir empfinden es als großen Luxus, unseren Büros einen Barista zu ermöglichen. Alternativ sparen wir Kosten ein und setzen mit der Anschaffung eines Kaffeevollautomaten auf Self-Service und Automation. Warum denken wir bei den alltäglichen Prozessen in Unternehmen nicht genauso?
Forsch gefragt: Ist beispielsweise das Retourenmanagement in Ihrem Unternehmen schon digitalisiert? Und wenn ja, was heißt eigentlich „digitalisiert“?
Kann der jeweilige Kunde bereits eigenständig per Self-Service alle nötigen Schritte in die Wege leiten, um sein Anliegen abzuwickeln?
Oder ist der Prozess in Wahrheit vielleicht doch nur teilweise digital? Sind die nötigen Systeme allesamt angebunden? Oder müssen Daten immer noch händisch eingetragen/übertragen und womöglich doppelt gehalten werden?
Muss der Kunde vielleicht doch einen umständlicheren Weg gehen als nötig? Und beschäftigen Sie, um eben diesen Weg zu ermöglichen, Mitarbeiter für die Umsetzung? Ist es nicht vielleicht denkbar, die Aufgabe nach außen durch ein „Self-Service-Portal“ zu automatisieren und/oder intern einen digitalen Bot (RPA) einzusetzen?
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, es geht mir keineswegs darum, auch nur einen Mitarbeiter durch Technologie zu ersetzen. Im Gegenteil, denn genau diese Mitarbeiter könnten der vollgepackten Digital Agenda, anderweitig eingesetzt, zu erheblich mehr Reichweite verhelfen.
Ein alltägliches Beispiel dazu kennt jeder von uns. Glauben Sie, eine breite Mehrheit würde für die Beantragung des neuen Reisepasses oder eines internationalen Führerscheins noch zum Amt gehen, wenn es ebenso via Self-Service online möglich wäre? Der Mehrwert von Digitalisierung ist an dieser Stelle gut greifbar. In Unternehmen liegen Geschäftsprozesse dieser Art ebenfalls nach wie vor flächendeckend vor, ohne konsequent hinterfragt zu werden.
Das mag vielleicht heute noch Branchenstandard sein, aber sobald Ihre Konkurrenz morgen eine „einfachere“ Alternative bietet, wird die Kundschaft wechseln. Glauben Sie’s mir – meine Filialbank weiß bereits, wovon ich spreche.
Was sich wie ein großes Risiko liest, interpretiere ich als noch größere Chance.
Wer sagt denn, dass Sie sich die Vorteile nicht sichern können? Alternativ nichts zu tun, hält den Fortschritt der Marktbegleiter jedenfalls mit Sicherheit auch nicht auf.
Mein Gefühl ist, wir sind gar nicht so wenig digital in Deutschland. Um jedoch endlich Fahrt aufzunehmen, fehlt es häufig an entscheidender Stelle. Prozesse sind nicht zu Ende digitalisiert oder weisen Brüche auf. Lücken entstehen, die unbemerkt bleiben, „weil es ja trotzdem funktioniert“.
Wir verfügen hierzulande über enormes Know-how, verteilt über alle Branchen. Technologie „Made in Germany“ ist nach wie vor weit gefragt. Das ist ein starkes Fundament für die digitale Transformation, aber dabei dürfen wir einen Fehler nicht machen:
Neue Technologien einfach zu übergehen.
Sich bewusst gegen den Einsatz von Blockchain im eigenen Unernehmen zu entscheiden, ist die eine Sache. Das Potential verschiedener Anwendungsfälle gar nicht erst zu evaluieren, ist die andere.
Wir unterliegen zu häufig noch dem Irrtum, zu denken, wir müssten auch im Rahmen der neuen Technologien eine führende Rolle auf den Markt einnehmen. Wer sagt denn aber, dass der Einsatz überhaupt Teil des nach außen sichtbaren Angebots werden muss?
Es geht doch vielmehr darum, Technologien wie Blockchain, künstliche Intelligenz, Plattform-Technologie, IoT, Process Mining oder Robot Process Automation flächendeckend auf laufende Wertschöpfungsketten anzuwenden.
Alleine die konsequent gestellte Frage „Wie können wir diese neue Technologie in unserem Fachbereich zum Vorteil nutzen?“ beschleunigt ungemein. Aber genau damit stehen viele Unternehmen noch ganz am Anfang. Vielerorts fehlt dieses Verständnis sogar nach wie vor grundlegend.
Zu sagen „Künstliche Intelligenz – das hat nichts mit unserem Kerngeschäft zu tun, da planen wir nichts“, ist schlichtweg nichts anderes als vor 20 Jahren die Frage zu stellen: „Wir bauen die besten Autos, warum sollten wir in das Internet investieren?“.
Sehen wir uns beispielsweise die Plattform-Technologie unter diesem Aspekt genauer an. Unternehmen sind Teil eines komplexen wirschaftlichen Ökosystems. Noch zu zaghaft öffnen wir uns diesem Ökosystem.
DB Schenker, als eines von vielen positiven Gegenbeispielen, hat die Vorteile schon lange für sich entdeckt. Als großes Logistikunternehmen setzt man bereits seit einiger Zeit konsequent auf Automation und Vernetzung. Man stellt dem eigenen Ökosystem mit Hilfe einer Plattform laufend relevante Informationen über die eigene Wertschöpfungskette zur Verfügung. Über Programmierschnittstellen liefert man jederzeit relevante und ausgewählte Informationen als Service. Partnerunternehmen können nun beispielsweise laufend Daten über Geopositionen, Feuchtigkeit oder Temperatur ihrer transportierten Güter einsehen.
Das ist weit mehr als ein schlichter Wettbewerbsvorteil durch ein digitales Komfort-Feature. Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, auf Basis der zur Verfügung gestellten Daten, neue Geschäftsmodelle rund um DB Schenker entstehen zu lassen. Mit vergleichbar geringem eigenen Zutun. Die erreichten Multiplikatoreffekte können immens sein und schonen nebenbei die eigenen Budgets.
Amazon und Microsoft machen es seit Jahren vor und auch deutsche Unternehmen wie BMW, Daimler und Sixt erfinden sich im Rahmen ihrer Carsharing-Angebote ein Stück weit neu.
Derart disruptiv zu denken, ist für die meisten Unternehmen, deren Kernkompetenz nicht Informationstechnologie ist, allerdings gar nicht notwendig. Häufig liefern kleine Maßnahmen zur Ergänzung der aktuellen Geschäftsprozesse schon entscheidende Mehrwerte.
Gegenwärtig lamentieren wir hierzulande häufig zu Recht über die gefühlt nicht besser werdende Infrastruktur in Deutschland. Wenn wir als Unternehmen jedoch nicht anfangen, innovativer zu denken, dann wird 5G in einiger Zeit überall in bester Qualität verfügbar sein und unsere Prozesse werden nach wie vor ressourcenzehrend, wenig kundenorientiert und umständlich aussehen.
Die wirschaftlichen Eruptionen werden früher oder später verschwinden und dann ist umso mehr digitale Innovationskraft gefragt.
In diesem Sinne – packen wir’s an!
Autor: Sebastian Fuhs